Die Justiz gilt bekanntlich als eine der drei Säulen der Gewaltenteilung zur Verteilung der Staatsgewalt auf getrennte Hoheitsbereiche und zum Schutz der Grundrechte.
Soweit die Theorie, die von einer Unabhängigkeit der Rechtsprechung ausgeht. Offenbar ist dieser Grundsatz jedoch in der Praxis zunehmend gefährdet. Darauf verweist der Jurist Jens Gnisa, Direktor des Amtsgerichts Bielefeld und früherer Vorsitzender des Deutschen Richterbunds, in bemerkenswerter Deutlichkeit: „Unsere Justiz wird vergiftet durch schleichende Politisierung, gefährliche Moralisierung und falsche Emotionalisierung.“ Mehr und mehr würden Gesetze als Steuerungsfunktion zur Umsetzung eines politischen Willens behandelt. Gesetze ermöglichten also den Zugriff des Staates, statt die Freiheit des Bürgers zu sichern. Als Beispiele nennt Gnisa die Corona-Verordnungen und die Heizungspläne der Ampelregierung. Die Bürger würden dabei eher als Gefahr für ein übergeordnetes Ziel angesehen, deren Verhalten in den Griff gebracht werden müsse. Der Staat richte sein Handeln nicht am Bürger, sondern an höheren Zielen wie Klima, Pandemie oder Menschlichkeit aus. Der Staat misstraue also mehr und mehr seinen Bürgern. Moral und Emotionen gewännen in der Gesellschaft die Oberhand. Doch das gefährde die Grundlagen unseres Rechtsstaats und überfordere das Justizsystem. Für ihn sei das Justizsystem mittlerweile nicht mehr recht, nur noch billig. Die Neigung der Exekutive, ihren Einfluss auf Legislative und Judikative auszudehnen, darf als systemimmanent bezeichnet werden. Als abschreckendes Beispiel kann die parteipolitische Kungelei bei der Neubesetzung von Richterstellen am Bundesverfassungsgericht gelten. Gerade deswegen sollte die Wortmeldung eines erfahrenen und unerschrockenen Richters wie Gnisa gehört und ernstgenommen werden. Ein Staat, der seinen Bürgern nicht mehr vertraut, sollte sich – frei nach Bertolt Brecht – ein anderes Volk wählen.