Anderes Volk?

Anderes Volk?
Allmählich stellen sich grundsätzliche Fragen nach dem Demokratiever-ständnis unserer Politiker, die immer neue Milliarden im Euro-Rettung ge-nannten Fass ohne Boden versenken, obwohl sich mittlerweile die große Mehrheit von Bevölkerung, Wirtschaft und Wissenschaft dezidiert gegen eine Fortsetzung des außer Kontrolle gera-tenen Rettungswahns ausspricht.

Die Berliner Allparteien-Koalition schreitet gleichwohl unbeeindruckt fort auf ihrem Weg zur irreversiblen Transfer- und Schuldenunion. Die zwischenzeitli-chen verbalen Beschönigungen und Irreführungen unterliegen offenbar dem Prinzip: Es gilt das gebrochene Wort. Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik sind Volkswille und Regierungshandeln in einer Frage von existenzieller Bedeutung soweit ausei-nander geklafft. Nie zuvor hat sich das deutsche Parlament in solch peinlicher Weise als „Abnickverein“ präsentiert. Die Bundestagsabgeordneten scheinen sich den „Fraktionszwängen“ stärker verpflichtet zu fühlen als ihrer amts-eidlichen Verpflichtung, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Eine Regierung, die so offensichtlich die Wünsche der Wähler missachtet, wäre gut beraten, sich ein anderes Volk zu suchen.

„Dicke Bertha“
Die FAZ kommentiert die neuesten Brüsseler Hütchenspielereien folgen-dermaßen: „Dank der ‚Dicken Bertha’ haben sich die Banken vollgesaugt mit Staatsanleihen der Südländer. Jetzt soll eine Bankenunion als Rettung für den Euro verkauft werden. Erst prügeln Griechenland, Spanien und andere Schuldensünder ihre Banken in die eigenen Staatsanleihen, dann soll, weil die Risiken natürlich zu groß werden, die Bankenunion mit einer Gemein-schaftshaftung dafür sorgen, dass das gefährliche Spiel in noch größerer Dimension weitergehen kann.“ Und weiter: „Griechische Banken, die nur dank einer EZB-Notfallhilfe am Leben gehalten werden, sollen frische Anlei-hen von Griechenland kaufen, die sonst keiner haben will, um sie sofort wieder bei der EZB einzureichen, wo sie das Geld wiederbekommen, das sie gerade an Athen überwiesen haben. Den Eurofinanzministern bietet die EZB das Perpetuum mobile zur Finanzie-rung der Krise an. Kein Wunder, dass sie mehr davon wollen.“ Ifo-Chef Sinn merkt dazu an: „Die Haftungsrisiken in der Bankenunion sind noch gewaltiger als bei Euro-Bonds. Die Bankenschul-den liegen bei rund 9.300 Milliarden, die Staatsschulden betragen etwa 3.400 Milliarden Euro.“ Und er weist darauf hin, dass die Ersparnisse aus dem Norden nun nicht mehr über den Markt, sondern über die beiden plan-wirtschaftlichen Institutionen EZB und ESM in den Süden geleitet werden.

Holland(e) in Not
Während sich die öffentliche Wahr-nehmung in puncto Schuldenkrise noch vorrangig auf Griechenland, Portugal und Spanien konzentriert, blicken Ken-ner der Materie zunehmend besorgt auf Italien und Frankreich. Vor allem unser westliches Nachbarland hat nach der Machtübernahme durch die Sozialisten wenig ausgelassen, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit weiter zu verschlechtern. Dem hat die Ratingagentur Moody’s durch eine Aberkennung des Triple A Rechnung getragen, was wiederum die Herabstu-fung von ESM und EFSF ausgelöst hat. Die damit verbundene Verteuerung der Finanzierung am Kapitalmarkt schwächt das Land, das bisher als zweitwichtigste ESM-Säule galt und Deutschlands bedeutendster Handels-partner in Europa ist. Die volkswirt-schaftlichen Strukturnachteile infolge verschleppter Reformen könnten der Eurozone einen weiteren Problemfall der desaströsen Dimension mit unkal-kulierbaren Auswirkungen bescheren. Die Staatsverschuldung dürfte 2012 etwa 90 % des BIP erreicht haben, was dem zweitschlechtesten Wert unter den sogenannten Kernländern ent-spricht. Für soziale Brisanz sorgt die hohe Arbeitslosigkeit, die aktuell bei circa 10 % liegen dürfte. Trotz allem: Eine volkswirtschaftliche Trendwende durch wirksame Strukturreformen der Regierung ist derzeit nicht in Sicht.

Heile Welt
Obwohl Spanien bis zu 100 Mrd. Euro des ESM zur Rettung seiner maroden Banken benötigt, das Steuer- und Geldwäscheparadies Zypern 17,5 Mrd. europäischer Steuermittel zur Siche-rung vorrangig russischen Oligarchen-geldes erhalten soll, Portugal zusätzli-che „Erleichterungen“ wie Griechen-land fordert, Irland ein zweites Ret-tungspaket braucht, Italien schon bald dramatische Unterstützungswünsche auf den Tisch legen dürfte und Frank-reich taumelt, hat die EU die Welt wissen lassen, der Höhepunkt der Krise in Europa sei überwunden. Nun ist spätestens seit den erstaunlichen Of-fenbarungen von Jean-Claude Juncker allgemein bekannt, dass die politische Lüge in ernster Lage zur selbstver-ständlichen Basis-Kommunikation der Eurokraten geworden ist. Insofern mag man die Gute-Laune-Propaganda als Pfeifen im dunklen Wald abtun. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass die Proporz-Kommissare längst zum Opfer ihrer permanenten Manipu-lation geworden sind und unter fort-geschrittenem Realitätsverlust leiden. Tatsache ist, dass die Zeichen für den europäischen Wirtschaftsraum auf Sturm stehen. Tatsache ist, dass sich Schuldenkrise und Rezession gegensei-tig verschärfen. Tatsache ist, dass die Arbeitslosigkeit im Euroraum auf 11,7 % gestiegen ist. Tatsache ist, dass die finanziellen Risiken für Zahlmeister Deutschland weiter sprunghaft zu-nehmen. Tatsache ist auch, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Scheitern der Währungsunion seit 2010 deutlich gewachsen ist.

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