„Belebtes Interesse“
Einen alarmierenden Versuchsballon hat der Internationale Währungsfonds gestartet. Im Anfang November veröf-fentlichten Bericht „Fiscal Monitor“ stellt der IWF ein „Gedankenspiel“ vor, das die schlimmsten Befürchtungen der Euro-Skeptiker bestätigt: Eine 10 %ige Sonderabgabe für alle Besitzer von Sparguthaben, Wertpapieren und Immobilien soll erhoben werden, um die Staatsverschuldung der EU-Länder zu reduzieren.
Für Deutschland hieße dies, dass die Bürger einer Zwangsent-eignung in Höhe von 576 Mrd. Euro ausgesetzt würden. Der IWF behaup-tet scheinheilig, es gebe „ein neu be-lebtes Interesse“ an einer solchen Zwangsabgabe. Außerdem legt der traditionell stark von französischen Interessen beeinflusste Währungs-fonds nahe, den Höchstsatz der deut-schen Einkommenssteuer von derzeit 45 % auf 70 % anzuheben. Nachdem diese gemeingefährlichen „Gedanken-spiele“ blankes Entsetzen ausgelöst haben, erfolgte postwendend und erwartungsgemäß ein vages Dementi des IWF. Die Bundesregierung wollte dazu keine Stellung nehmen. So oder so: Der seit der Zypern-Krise virulente Enteignungs-Virus ist aus der Flasche. Anleger sind gut beraten, sich auf alle Eventualitäten inklusive Kapitalver-kehrskontrollen und Devisenbewirt-schaftung einzustellen. Niemand weiß, welche Blaupausen im Berliner Fi-nanzministerium vorbereitet werden. Die beiden SPD-Landesfinanzminister Bullerjahn und Walter-Borjans haben sich bereits für die 10 %ige Zwangsab-gabe ausgesprochen. Derartige staat-liche Selbstbedienungen würden ohne Vorankündigung in einer Nacht- und Nebel-Aktion umgesetzt werden. Die FAZ beantwortet die Frage nach der Zukunft der Währungsunion so: „Wer Schulden macht, wird durch solidari-sche Hilfen anderer belohnt. Wer hin-gegen solide wirtschaftet, der wird erst zur Haftungsübernahme für ande-re gezwungen und dann mit Teilent-eignung bestraft.“
Entlarvender Vergleich
Dass der IWF die aktuelle Lage der Euro-Zone mit den Ausnahmesituatio-nen nach den verheerenden Weltkrie-gen des vergangenen Jahrhunderts vergleicht, offenbart die wahre, bisher verschleierte Risiko-Dimension des gescheiterten Euro-Projekts. Der Frankfurter Wirtschaftshistoriker Wer-ner Plumpe zieht ein wenig hoffnungs-volles Resümee der geschichtlichen Erfahrungen: „Zwangsabgaben sind nur erfolgreich, wenn der Staat paral-lel sein Finanzgebaren grundsätzlich ändert, also insbesondere die Ausga-ben, die das Ungleichgewicht verur-sacht haben, wirksam zurückführt.“
„Teil der Lösung“
Die EU-Kommission hat eine konjunk-turelle Trendwende für Europa ver-kündet, obwohl die Krisenländer – entgegen aller politischen Gesundbe-terei – in puncto Wettbewerbsfähig-keit und Staatsdefizit kaum Boden gut gemacht haben. Das gilt insbesondere für Griechenland, Spanien und Italien. Erhebliche Sorgen bereitet auch die Reformunfähigkeit Frankreichs. Die dortigen Regierungen setzen offen-kundig auf einen Pakt der Schulden-länder, der Deutschland als General-zahlmeister noch stärker und unum-kehrbar in die Pflicht nehmen will. Dabei spielt man mit verteilten Rollen konsequent über die Bande. Es wächst der konzertierte Druck auf die Bundes-regierung mit pseudo-moralischen Argumenten. So hat Barroso kürzlich bei einer Rede in Frankfurt erklärt: „Ihr Deutschen habt diese historische Ver-antwortung, und Ihr könnt sie zu Eu-rem Vorteil nutzen.“ Inzwischen sei die Krise überwunden, Europa habe die Botschaft verstanden. Die Lehre laute: mehr Integration, nicht weniger. Eu-ropa sei nicht die Ursache der Proble-me, sondern Teil der Lösung. Diese Mischung von fatalem Realitätsverlust mit demagogischer Geschichtsfäl-schung und manipulativer Drohkulisse verschlägt einem die Sprache.
„Unheimlich dreist“
Nach Einschätzung des Wirt-schaftsprofessors Max Otte kann die jetzige EU-Politik, wenige Nordländer für die Krisenstaaten zahlen zu lassen, Deutschland und Europa zerstören. Die von der Bundeskanzlerin gebetsmüh-lenartig wiederholte Behauptung, der Euro sei die Grundlage unseres Wohl-stands, sei „unheimlich dreist“. Otte weiter: „Es ging Deutschland noch nie so gut wie in den frühen 90er Jahren und vor der Einführung des Euro.“ Und Kenneth Rogoff glaubt nicht, dass Südeuropa ohne einen massiven Schuldenschnitt aus der Krise kommen werde. Der Harvard-Professor kommt zu der düsteren Prognose: „Ich muss den Deutschen leider sagen: Ihr wer-det euer Geld nicht zurückbekom-men.“
Fromme Wünsche
Die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD erwecken bei der „Wirtschaftswoche“ den Eindruck, dass Schwarz-Rot die Unternehmen und Verbraucher in die Mangel neh-men wolle. Das Institut für politische Wissenschaft an der Universität Hei-delberg sieht den Schwerpunkt des Koalitionsvertrags vor allem in sozial-politischen Weichenstellungen, was auf eine deutlich größere Belastung der Unternehmen hinauslaufe. Die Union sei schon im Wahlkampf mög-lichst nahe an die Forderungen ihrer Gegner gerückt, um die SPD-Wähler einzulullen. Die Gefahr liegt nahe, dass es bei Zeitgeistthemen wie Mindest-lohn, Frauenquote und Finanztransak-tionssteuer zu faulen Kompromissen kommt. Noch steht alles unter Finan-zierungsvorbehalt. Trotz wachsender Steuereinnahmen wird man neue We-ge der kreativen Buchführung finden und beschreiten. Der Bundesfinanzmi-nister hat den frommen Wunsch vor-getragen, es dürfe ab 2015 keine Neu-verschuldung geben. Von Schuldentil-gung war schon gar nicht mehr die Rede.