Das kleinere Übel
Von interessierter Seite wird eine Auf-lösung der Währungsunion zum politi-schen und wirtschaftlichen Weltunter-gang hochstilisiert. Diese Dramatisie-rung schafft die Propaganda-Plattform für die Kernthese, dass es keine Alter-native zur Fortsetzung der Euro-Retterei gibt, die Deutschland immer fester an das Schicksal der mehr oder weniger einsichtigen und sparwilligen Schuldenländer kettet.
Malte Fischer, der Chefökonom der „Wirtschaftswo-che“, hat kürzlich die verschiedenen Optionen und Szenarien in einem le-senswerten Beitrag durchgespielt. Er hält die Aufwertungsrisiken für den deutschen Export selbst im Falle der Wiedereinführung der DM für kalku-lierbar. Erstens sei die Nachfrage nach deutschen Produkten wegen der Wettbewerbsvorteile bei der Produkt-qualität wenig preissensibel. Außer-dem bestünden die Ausfuhren zu mehr als 40 % aus importierten Vorleistun-gen. Eine starke Währung senke daher die Einfuhrkosten und schaffe den Exporteuren Spielräume für Preisnach-lässe. So könnten die Unternehmen wechselkursbedingte Verteuerungen ausgleichen. Entscheidend für den Export sei die Auslandskonjunktur, deren Bedeutung vier Mal so hoch sei wie der Wechselkurs. Unbestreitbar ist allerdings, dass die von der Bundesre-gierung eingegangenen Verpflichtun-gen, Garantien und Bürgschaften ge-waltige Belastungen und Risiken ge-schaffen haben, für deren Abbau es derzeit noch keinen Masterplan gibt. Das gilt vor allem für den nicht aus-schließbaren Staatsbankrott von Schuldnerländern, der dem deutschen Steuerzahler immense Kosten besche-ren würde. Schwerwiegend wäre vor allem ein Ausfall der deutschen Forde-rungen, die aus dem Target-Zahlungssystem der europäischen Notenbanken resultieren. Hier hat sich Deutschland seit 2009 sehenden Auges in eine äußerst komplexe Lage der politischen Erpressbarkeit begeben. Doch die Stunde der Wahrheit wird kommen. Eigentlich geht es nur noch um das kleinere Übel: Entweder fügt sich die Bundesrepublik in die angeb-lich alternativlosen Fortsetzungszwän-ge einer unlimitierten Euro-Rettung, die irgendwann in einem gemeinsa-men Zusammenbruch der Euro-Länder enden dürfte. Oder aber man versucht, durch Austritt oder neue Währungs-Konfigurationen zu retten, was noch zu retten ist. Letztlich reduziert sich die Frage darauf, ob die Deutschen einem Ende mit Schrecken oder dem Schre-cken ohne Ende den Vorzug geben.
Vertrauenskrise
Die schwelende Euro-Krise, die jeder-zeit bisher nicht gekannte Eruptionen auslösen kann, führt hierzulande längst zum schleichenden Abbau de-mokratischer Grundrechte. Die Art und Weise, wie der deutsche Bundestag – ohne hinreichende Information und Sachkenntnis – immer wieder willfäh-rig weitreichende Beschlüsse zur Euro-Rettung fasst, hat nur noch formal mit dem Prinzip der Gewaltenteilung zu tun. Auch das Eigentumsrecht läuft Gefahr, zunehmend ausgehöhlt zu werden. Die von der EU geplante Her-anziehung „reicher“ Sparer zur Ab-wicklung maroder Banken zeigt, wohin der Weg gehen soll. Offensichtlich soll die in Zypern realisierte Praxis, Gutha-ben von über 100.000 Euro gewaltig zur Ader zu lassen, in ganz Europa zum Modell werden. Gleichzeitig soll das ohnehin nur noch rudimentäre Bank-geheimnis nach dem Willen der Euro-kraten weiter eingeschränkt werden. Die „Wirtschaftswoche“ schreibt: „Hierzulande wird vertraut auf die Einlagengarantie der Bundesregierung. Einen Rechtsanspruch auf Entschädi-gung aus der Staatskasse gibt es aber nicht. Die gesetzliche Einlagensiche-rung gilt bis zu einem Betrag von 100.000 Euro pro Bank und Kunde. Nur würden weder die Entschädigungsein-richtung deutscher Banken noch die Institutssicherung der Sparkassen und Volksbanken eine systemische Krise überstehen. Im Einlagensicherungs-fonds der Privatbanken befinden sich bestenfalls fünf Milliarden Euro bei Einlagen von insgesamt rund drei Billi-onen Euro.“
„Die Armutslüge“
Die europäische Vermögensstudie der EZB stellt die Legende von den „rei-chen“ Geberländern und den „armen“ Nehmerländern auf den Kopf. Sie ent-zieht der bisherigen Euro-Rettung, die immer wieder mit der Notwendigkeit internationaler Solidarität begründet wurde, die moralische Basis und Legi-timation. Der Untersuchung zufolge rangieren die Deutschen mit einem durchschnittlichen Haushaltsvermögen von 51.000 Euro auf dem letzten Platz der 15 untersuchten EU-Länder. Sie sind ärmer als die Slowaken und Slo-wenen, nur halb so reich wie die Grie-chen (102.000) und fast notleidend im Vergleich mit den Zyprioten (267.000) und den Luxemburgern (398.000). Für Italien werden 174.000 und für Spani-en 183.000 gemeldet. Widerlegt wird damit auch die gängige Propaganda, Deutschland habe besonders von der Gemeinschaftswährung profitiert. Denn: Die Bundesrepublik ist nach der Euro-Einführung bei Pro-Kopf-Einkommen und Wachstum deutlich zurückgefallen. Umso unbegreiflicher ist, dass trotz dieser Fakten selbster-nannte Finanzexperten wie Gabriel und Trittin weiter Eurobonds propagieren. Obwohl Forschungsinstitute mittelfris-tig mit hohen Haushaltsüberschüssen rechnen, kündigen SPD und Grüne darüber hinaus drastische Steuererhö-hungen an, die angeblich der sozialen Gerechtigkeit dienen sollen. Der „Spiegel“ widmet der EZB-Studie eine lesenswerte Titelgeschichte unter der Überschrift „Die Armutslüge – Wie Europas Krisenländer ihre Vermögen verstecken“. Angesichts dieser Er-kenntnisse nimmt die politisch gewoll-te Zementierung der deutschen Zahl-meisterrolle in Europa mittlerweile selbstzerstörerische Züge an.