Entmündigt

Entmündigt
„Scheitert der Euro, scheitert Europa? Vielleicht gilt eher: Schafft es der Euro, scheitert Europa. Die Rettung des Ge-meinschaftsgeldes nicht zuletzt durch die Europäische Zentralbank (EZB) legt die Axt an Grundprinzipien, die auf dem Alten Kontinent über Jahrhunder-te entwickelt wurden: Gewaltentei-lung, demokratische Kontrolle, Re-chenschaftspflicht der Exekutive ge-genüber Parlamenten und Bevölke-rung.“

Mit diesen Sätzen leitet die „Börsen-Zeitung“ eine eurokritische Bestandsaufnahme ein. Die Debatte über EFSF und ESM wirke fast lächer-lich, weil die EZB mittlerweile viel hö-here Beträge umschichte. Europas Parlamente seien von der EZB ent-mündigt worden: Wenn die Volksver-treter nicht genügend Finanzmittel zur Euro-Rettung bereitstellen, dann tue dies eben die EZB. Letztlich bleibe als Alternative nur noch die europäische Föderation mit einer gemeinsamen Regierung oder die Rückkehr zu Frei-handel und Binnenmarkt, die sich al-lerdings nicht mit dem Konzept der Einheitswährung vertrage. Daher müs-se die Rückabwicklung des Euro eine Option sein.

Volksentscheid
Der britische Premierminister hat die Ankündigung, sein Land über den Ver-bleib in der Europäischen Union ab-stimmen zu lassen, mit der „wachsen-den Frustration“ darüber begründet, dass die EU den Menschen angetan werde, anstatt in ihrem Interesse zu handeln. Gleichzeitig hat er die Ver-besserung der Wettbewerbsfähigkeit gefordert. Der englische Romanautor Frederick Forsyth erklärt die wachsen-den Aversionen in seinem Land so: „Die meisten von uns haben einfach genug von all den Lügen, von dem enormen Transfer unserer Selbstbe-stimmung nach Brüssel. Genug auch von der Abgehobenheit und Arroganz der Brüsseler Eurokraten, von unserer ständigen Kapitulation vor ihnen, von den Milliarden und Abermilliarden an vergeudetem Geld, vom langsamen Tod der Demokratie.“ Grundsätzlich muss die Frage erlaubt sein, warum ein urdemokratisches Institut wie die Volksabstimmung plötzlich von selbst ernannten Lordsiegelbewahrern de-mokratischer Grundrechte als populis-tisches Teufelswerk diffamiert wird. Man stelle sich vor, die Deutschen dürften in dieser Frage selbst ent-scheiden ...

Schlimmste Befürchtungen
Vor der „gefährlichen Dimension“ einer Bankenunion haben ifo-Chef Hans-Werner Sinn und der Finanzwis-senschaftler Harald Hau in einem FAZ-Beitrag gewarnt. Die beiden Autoren beschreiben die Lage folgenderma-ßen: „Die Bankensysteme stehen am Rande der Pleite, und die Gläubiger der Banken können ihr Geld nicht zurück-bekommen, wenn man nicht andere Leute findet, die anstelle der Banken zurückzahlen. Die Schulden der Banken aus den sechs am stärksten von der Krise betroffenen Staaten summieren sich auf insgesamt 9.400 Milliarden Euro. Diese Zahl ist fast dreimal so groß wie die Summe der jeweiligen Staatsschulden, die sich auf 3.500 Milliarden Euro beläuft.“ Die Umwäl-zung der Abschreibungsverluste auf die Steuerzahler werde zu einer Destabili-sierung der bisher noch gesunden Eu-roländer führen. Der Vorschlag der EU-Kommission zur Bankenunion über-treffe die schlimmsten Befürchtungen.

Hauptsache solidarisch
Bayern und Hessen sind es leid, im Wege des Länderfinanzausgleichs den Zahlmeister für mehr oder weniger sparwillige Nehmerländer zu spielen. Im vergangenen Jahr sind knapp 8 Mrd. Euro mit dem hehren Ziel einer „Vereinheitlichung der Lebensverhält-nisse“ geflossen. Davon hat allein Berlin mit 3,32 Mrd. Euro über 40 % kassiert. Die Bayern mussten für jeden Berliner 468 Euro aufbringen. Als un-gerecht empfinden es die Geberländer, wenn sie in anderen Bundesländern indirekt soziale Leistungen subventio-nieren sollen, die für ihre eigenen Bür-ger aus Haushaltsgründen nicht bereit-stehen. Dazu gehört beispielsweise der unentgeltliche Besuch von Kindergär-ten. Deutschland ist offensichtlich dabei, auch auf europäischer Ebene in eine Art Länderfinanzausgleich hinein zu schliddern.

Mehltau
In einem lesenswerten Beitrag befasst sich „Focus Money“ mit dem System der „Political Correctness“, das vom Mainstream abweichende Meinungen brandmarkt und letztlich zu Sprech- und Denkverboten führt. Der Philo-soph Peter Sloterdijk stellt fest: „Wir haben uns unter dem Deckmantel der Redefreiheit und der unbehinderten Meinungsäußerung in einem System der Unterwürfigkeit, der organisierten sprachlichen und gedanklichen Feig-heit eingerichtet, das praktisch das ganze soziale Feld von oben bis unten paralysiert.“ Tatsächlich wird öffent-lich meist über Gerechtigkeit disku-tiert, wenn Gleichheit gewollt und gemeint ist. Der mediale Zeitgeist setzt nicht auf das Individuum, sondern auf das Kollektiv und den Staat als Prob-lemlöser. Kein Wunder, sympathisie-ren doch 35 % der Journalisten mit den Grünen und 25 % mit der SPD. Nur 7,6 % fühlen sich der CDU verbunden. „Focus Money“ meint: „Wo es einst um die Utopie von einer Welt ohne Repressionen ging, herrscht heute eine Atmosphäre der Unterstellung und Verdächtigung, der Anpasserei und des Duckmäusertums, gegen die der an-gebliche Mief der 50er-Jahre wie Frischluft anmutet.“ Und der Medien-wissenschaftler Norbert Bolz merkt an: „Der Jammer der deutschen Situa-tion ist der, dass ausgerechnet die Linken zu den großen Tabumächten geworden sind. Also die, die früher Aufklärung betrieben haben, die früher gekämpft haben für freie Meinung – überhaupt für Freiheit: Das sind die großen Tabumächte unserer Zeit.“

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