„Flexible“ Stabilität
Nur kurz nach den Europa-Wahlen haben die sozialistischen und sozial-demokratischen Regierungen in Euro-pa eine neue Initiative gestartet, um den Stabilitätspakt und damit Merkels (relativen) Sparkurs aufzuweichen und auszuhebeln.
Insbesondere die notori-schen Schuldenmacher-Regierungen Frankreichs und Italiens, die sich dem Reformdruck bisher weitestgehend verweigert haben, machen sich in ei-ner unheiligen Allianz mit dem SPD-Vorsitzenden dafür stark, die Stabili-tätskriterien „flexibel“ auszulegen, also den jeweiligen nationalen Regie-rungsinteressen der Schuldenländer nach Belieben unterzuordnen. Politisch verkauft werden soll dieser Paradig-menwechsel mit der irreführenden Scheinalternative „Wachsen statt Spa-ren“. Der deutsche Wirtschaftsminis-ter konterkariert seine Behauptung, „für mehr Ehrlichkeit in der Debatte“ einzutreten, mit dem originellen Vor-schlag, die durch Reformpolitik ent-stehenden Kosten nicht auf die Defizi-te anzurechnen. Mit anderen Worten: Kreative Buchführung soll die Realitä-ten vernebeln, zusätzliche Freiräume für noch höhere Staatsschulden schaf-fen und strukturelle Reformen auf Lippenbekenntnisse reduzieren. Man will flexibel und großzügig sein, solan-ge Deutschland für die finanziellen Konsequenzen haftet. Die „Wirt-schaftswoche“ titelt: „Europa wird rot“.
„Dauerkrise“
Der frühere EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark kommentiert die Aufweichung der Stabilitätsregeln so: „Eine Glei-chung ‚laxe Haushaltspolitik gegen Strukturreformen‘ wird nicht aufge-hen. Ein solcher Kuhhandel führt zu fiskalpolitischer Disziplinlosigkeit ohne die wirtschaftlichen Aussichten zu verbessern. Dann wird die Krise zur Dauerkrise. Kurzfristdenken, Opportu-nismus, Populismus und politische Führungsschwäche sind die Feinde von Regeln. Eine Regelbindung kann nun einmal nicht besser sein als die han-delnden Politiker selbst.“
Hütchen-Spiele
In die Rubrik Tarnen und Täuschen fällt auch das „Europäische System volks-wirtschaftlicher Gesamtrechnungen“ (ESVG), das ab September 2014 für alle EU-Länder verpflichtend sein soll. Im Mittelpunkt steht eine neue Methodik zur Berechnung des Bruttoinlandspro-dukts. Künftig sollen auch Einnahmen aus Prostitution, Drogenhandel und Schmuggelgeschäften bei der nationa-len Wertschöpfung erfasst werden. Außerdem sollen F&E-Aufwendungen nicht mehr als Vorleistungen in die Produktion eingerechnet, sondern als Investitionen ausgewiesen werden. Militärische Waffensysteme sollen ebenfalls als Investitionen behandelt werden. Nach Schätzung des Statisti-schen Bundesamts wird die neue Er-mittlungsmethode das deutsche BIP auf wundersame Weise um gut 3 % erhöhen. Vor allem die Schuldenländer der Euro-Zone freuen sich über das modifizierte System zur BIP-Berechnung, weil damit automatisch eine Senkung der prozentualen Schul-denstandsquote verbunden ist. Ein altgedienter Industrie-Kapitän kom-mentiert diese Hütchen-Spielereien mit dem ironischen Hinweis, es sei gut zu wissen, dass jetzt auch die vielfälti-gen Aktivitäten der Mafia ganz offiziell zur Steigerung des italienischen BIP beitragen.
„Verzweifelter Versuch“
Am 5. Juni 2014 hat der EZB-Chef ein beispielloses Maßnahmenpaket vorge-stellt, um die Inflationsrate wieder in Richtung auf die volkswirtschaftlich erstaunliche „Zielmarke“ von 2 % zu bringen. Die breite Öffentlichkeit hat die Dimension der neuen Kreditkanone kaum zur Kenntnis genommen, wäh-rend „die Märkte“ die zusätzliche Li-quiditätsspritze von 400 Mrd. Euro für die Banken begrüßt haben. Auf der EZB-Agenda stehen außerdem der äußerst problematische Einstieg in das Geschäft mit Kreditverbriefungen und ein ebenso zweifelhaftes Ankaufpro-gramm für Staatsanleihen. Der Chef des ifo-Instituts hat die EZB-Beschlüsse als „verzweifelten Versuch, mit noch billigerem Geld und Strafzin-sen auf Einlagen die Kapitalströme nach Südeuropa umzuleiten und so dort die Wirtschaft anzukurbeln“, be-zeichnet. Die Zeche zahlten jetzt alle jene, die Geld langfristig anlegen, also die Sparer und die Besitzer von Le-bensversicherungen.
Neue Schulden
Trotz der explodierenden Steuerein-nahmen infolge der anhaltenden Son-derkonjunktur will die Bundesregie-rung auch im Jahr 2014 neue Schulden machen. Das Ziel eines ausgeglichenen Staatshaushalts wurde wieder einmal verschoben. Um die Gesamtausgaben von 296,5 Mrd. Euro ermöglichen zu können, ist eine Neuverschuldung um 6,5 Mrd. Euro geplant. Auch die 16 Bundesländer bekommen ihre Haus-halte nicht in den Griff. Sie haben in den ersten fünf Monaten des laufen-den Jahres insgesamt 6 Mrd. Euro mehr ausgegeben als sie eingenom-men haben. Mit Bayern, Niedersach-sen und Sachsen schreiben derzeit nur drei Länder schwarze Zahlen. Die Aus-gaben aller Länder stiegen insgesamt um 4 %, während die Einnahmen nur um 2,7 % zulegten. Bei den Kommunen spitzen sich die Haushaltsprobleme ebenfalls weiter zu. Vor allem die So-zialausgaben laufen aus dem Ruder. Ein durchgängiger politischer Wille, den Teufelskreis mit notfalls auch un-populären Maßnahmen zu durchbre-chen, ist nicht erkennbar. Künftige Generationen, die das Schuldendesas-ter auszubaden haben, spielen für die Politiker von heute offenbar keine Rolle. Ein anerkannter Finanzwissen-schaftler zeigt sich im vertrauten Kreis ratlos angesichts der Frage, über wel-che Optionen Bund, Länder und Ge-meinden beim nächsten konjunkturel-len Einbruch und bei „normalen“ Zin-sen noch verfügen werden, um eini-germaßen zukunftsfähig zu bleiben.