Historiker werden die sechzehnjährige Amtszeit von Angela Merkel dereinst mit vielerlei Begriffen verbinden, sicherlich aber nicht mit dem früheren CDU-Gütezeichen, der Marktwirtschaft. Das Erbe Ludwigs Erhards ist allenfalls noch Thema parteipolitischer Sonntagsreden. Unverkennbar hat Merkel von der Agenda 2010 ihres Amtsvorgängers profitiert.
Dabei ist das Gespür für die Notwendigkeit ständiger Anpassungen zum Erhalt der sozialen Marktwirtschaft mehr und mehr abhandengekommen. Die jetzige „große“ Koalition hat keinerlei Ehrgeiz gezeigt, ihrer diesbezüglichen Verantwortung gerecht zu werden. Im Gegenteil: Man scheint eher peinlich bemüht zu sein, den vom Zeitgeist als belastet empfundenen Begriff „Reform“ zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit tunlichst zu vermeiden. Er wird wohl als Behinderung der reichlich verabschiedeten Sozialreformen missverstanden, mit denen die Bundesregierung eine Fülle weitgehend ungedeckter Schecks auf die Zukunft ausgestellt hat. Übersehen wird dabei die schlichte Wahrheit, dass soziale Wohltaten auf Sicht nur durch effiziente Unternehmen finanziert werden können. Marktwirtschaft und Sozialstaat werden von Teilen der amtierenden Regierung offensichtlich nicht mehr als zwei Seiten ein und derselben Medaille wahrgenommen und anerkannt. Ganz in Gegenteil hat sich die Neigung durchgesetzt, immer mehr „umzuverteilen“ und gleichzeitig die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen zu belasten. Kritiker, die vor diesem gefährlichen Trend warnen, werden mit dem unfreundlich gemeinten Adjektiv „neoliberal“ kategorisiert. Wer erwartet hatte, die Unionsparteien würden in der Koalition als Gralshüter der Marktwirtschaft agieren und Überforderungen verhindern, sieht sich enttäuscht. Schon vor der Pandemie hatten sich die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Zukunftsaussichten zunehmend verschlechtert. Gerade in Zeiten einer epochalen Krise kann das Bröckeln tragender Säulen zum Einsturz des gesamten Systems führen.