Gut und gern

Wie im Schlafwagen dämmert Deutschland der Bundestagswahl am 24. September entgegen. Das Wahlvolk scheint in eigentümlicher Weise auf Distanz zu seinen zunehmend ratlosen Politikern gegangen zu sein.

Im August sorgte die urlaubende Bundeskanzlerin allenfalls durch Garderobenfragen in Bayreuth oder bei der Bergwanderung für medialen Gesprächsstoff. Der Herausforderer, der die blanke Angst vor einem Abstimmungsdesaster wie ein schlechtes Parfüm zu verströmen scheint, sucht ebenso hektisch wie erfolglos nach zündenden Mobilisierungsthemen. Die vier kleinen Parteien, die Prognosen zufolge allesamt im Plus-Minus-Korridor von 8 % herumwuseln, bemühen sich mit mehr oder weniger originellen Geistesblitzen um verstärkte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Der Plakat-Wahlkampf offenbart erschreckende Defizite an Eigenständigkeit und Kreativität. Beliebigkeit und Austauschbarkeit scheinen das Maß der Dinge zu sein. Der von teuren Werbeagenturen entwickelte „Tiefgang“ verschlägt selbst dem leidgeprüften Betrachter mitunter die Sprache. Da wirbt die CDU für  „Mehr Respekt vor Familien“, „Für Sicherheit und Ordnung“ und „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gern leben“. Die SPD verspricht ritualisierend mehr Bildung, höhere Renten, gerechte Löhne und eine bessere Familienpolitik. Die Grünen stellen in einer intellektuellen Großtat fest: „Zwischen Umwelt und Wirtschaft gehört kein Oder.“ Die Linke plädiert – wer hätte das gedacht – für „Frieden“, „Respekt“, „Nähe“ und die höhere Besteuerung von Millionären. Die FDP fokussiert sich auf an Boss-Werbung erinnernde Abbildungen ihres Vorsitzenden. Und die AfD plakatiert ihre offenbar nicht mehr durchgängig geschätzte Parteivorsitzende im Stil eines Mutterschaftsurlaubs. Kein Wunder also, dass das Wahlvolk auf einen neuen Minus-Rekord bei Desinteresse und Demobilisierung entschlafen zu sein scheint. All das lädt zur satirischen Betrachtung ein, obwohl die damit verbundene Politikverweigerung auf Sicht die Basis des demokratischen Systems infrage stellt. Diejenigen, die überhaupt noch wählen gehen, lassen sich meist vom Prinzip des kleineren Übels leiten. Nur noch selten wird der Weg zur Urne von politischer Überzeugung bestimmt. Übrigens: Am Tag der Entstehung dieser Kolumne wird gemeldet, dass ein (vermutlich anderer) Martin Schulz die Wahl zum „Deutschen Grillmeister“ gewonnen hat. Immerhin etwas.

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