Sobald die Bundesregierung einmal nicht wie gewohnt den immer neuen Subventionsforderungen der EU-Kommission und der Schuldenländer nachkommt, sieht sie sich einer koor-dinierten öffentlichen Abstrafung aus-gesetzt.
Vor allem Herr Juncker entfal-tet erstaunliche macchiavellistische Fähigkeiten beim Versuch, Deutsch-land zur Disziplinierung auf die mediale Anklagebank zu setzen. Beim gekonn-ten Spiel über die Bande zeigen auch die Herren Barroso und van Rompuy beachtliche Qualitäten. Als inakzepta-bel erweist sich diese Stimmungsma-che jedoch spätestens dann, wenn sie maßgeblich zur politischen Diskrimi-nierung und anti-deutschen Propagan-da beiträgt. Einige Massenmedien in Ländern wie Griechenland, Italien, Großbritannien und Frankreich greifen nur allzu gern die Brüsseler Steilvorla-gen auf, um die Bundeskanzlerin mit bösen Feindbildern und Hitler-Vergleichen herabzusetzen. Vor die-sem Hintergrund zeigen sich ausländi-sche Kommentatoren erstaunt über die Belastbarkeit der Bundesbürger, die ihre Zahlmeisterrolle klaglos hin-nähmen und dafür auch noch be-schimpft würden. Für manche führen-den Eurokraten scheint nur ein zahlen-der Deutscher ein guter Deutscher zu sein.
„Jahr der Entscheidung“
Vor genau einem Jahr war an dieser Stelle zu lesen, dass 2011 hinsichtlich der Zukunft des Euro zum Jahr der Entscheidung werden würde. Die Wucht und die Eigendynamik der Ent-wicklung haben allerdings selbst pes-simistische Prognosen übertroffen. Die gesamten deutschen Haftungsrisiken für die Euro-Rettung belaufen sich laut ifo-Institut mittlerweile nicht – wie offiziell angegeben – auf 211, sondern auf 600 Milliarden Euro, was dem doppelten Bundeshaushalt entspricht. Die EZB hat 2011 für über 200 Mrd. Euro faule Staatsanleihen der südli-chen Krisenländer angekauft. Davon entfallen 27 % auf die Deutsche Bun-desbank. Diese Rettungsmaßnahmen verstoßen gegen das in Artikel 123 der EU-Verträge manifestierte Verbot der Staatsfinanzierung. Wenn geltendes Recht durch Mehrheitsbeschlüsse im EZB-Rat nach Belieben ausgehebelt werden kann, sind die Grundpfeiler von Demokratie und Rechtsstaatlich-keit tangiert.
Die Target-Falle
Von politisch interessierter Seite wird das der breiten Öffentlichkeit nicht bekannte Problem der Target-Forderungen vernebelt. Schon seit 2007 haben sich die Krisenländer zu-nehmend über die Notenpresse finan-ziert, was zusammen mit einer Verla-gerung der Refinanzierungskredite des Zentralbankensystems einen öffentli-chen Kapitalexport Deutschlands in die Schuldenländer bewirkt hat. Bei der Bundesbank sind so Ausgleichsforde-rungen von inzwischen über 500 Mrd. Euro aufgelaufen, die niedrig verzinst sind und nicht fällig gestellt werden können. Der EZB-Rat hat diese Ent-wicklung durch eine Absenkung der Sicherheitsstandards gefördert und so der Monetarisierung von Staatsschul-den in Griechenland, Irland und Portu-gal Vorschub geleistet. Das ifo-Institut resümiert: „Deutschland sitzt mit sei-nen Target-Forderungen in der Falle und käme aus dem Euro auch dann nicht mehr ungeschoren heraus, wenn es das wollte. Denn geht der Euro zu Bruch, stehen etwa 500 Mrd. Euro an Forderungen gegen eine Institution im Raum, die es nicht mehr gibt. Unser Land ist durch den freien Zugang zur Notenpresse, den der EZB-Rat den überschuldeten Ländern verschafft hat, erpressbar geworden.“
Reformbedarf
Mit der „Bogenberger Erklärung“ hat das ifo-Institut nicht nur die Situation der Europäischen Währungsunion kritisch beleuchtet, sondern auch sie-ben Vorschläge für eine Neuformulie-rung der EU-Verträge entwickelt. Ge-fordert wird
● die Beschränkung der EZB auf die reine Geldpolitik
● die Revision der Stimmrechtsvertei-lung und Entscheidungsregeln im EZB-Rat
● die einmal jährliche Bezahlung der Target-Schulden mit zinstragenden, marktgängigen Vermögensobjekten
● die Ergänzung der Rettungsschirme um einen klaren Krisenmechanismus und eine Insolvenzordnung
● die Konzentration der Staatenge-meinschaft auf Hilfen zur Verbesse-rung von Governance und Wettbe-werbsfähigkeit für Krisenländer
● die Verpflichtung der Banken, Staatsanleihen mit Eigenkapital zu unterlegen
● und die Verpflichtung zum Austritt aus der Währungsunion für Länder, die ihre Schulden nicht zurückzahlen kön-nen.
Noch zu retten?
Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist das mit heißer Nadel entwickelte Experi-ment Euro wegen seiner immanenten Konstruktionsfehler offenkundig fatal gescheitert. Bei einem politischen „Weiter so“ dürfte Deutschland durch die finanzielle Eigendynamik in spätes-tens drei Jahren – in vorbildlicher Soli-darität mit den Schuldnerländern – in den Staatsbankrott schliddern. Nach Lage der Dinge wäre daher ein geord-neter Austritt der Bundesrepublik aus der Eurozone das kleiner Übel. Die damit verbundenen Kosten und Risiken sind erheblich, gleichwohl aber we-sentlich weniger existenzgefährdend als das weitere Mitmarschieren im Zug der Lemminge. Außerdem: Europa verkörpert weit mehr als die EU und den Euro. Diejenigen, die die europäi-sche Idee durch eine grob fahrlässig konzipierte und vertragswidrig reali-sierte Gemeinschaftswährung beschä-digt haben, sollten jetzt nicht versu-chen, die Schuld am Scheitern anderen zuzuweisen.