Reformen verschleppen
Der Bundesbank-Präsident zählt hier-zulande zu den wenigen Mahnern, die in der Öffentlichkeit noch Klartext sprechen. Das gilt für die Staatsschul-den-Problematik ebenso wie für die unerledigten Hausarbeiten der Bun-desregierung.
So hat Weidmann kürz-lich darauf hingewiesen, dass die Euro-Krise 2014 wieder auflodern könne. Aus deutscher Sicht reiche es nicht aus, mit dem Finger auf Griechenland zu zeigen und ansonsten die Hände in den Schoß zu legen. Auch Deutschland müsse sich weiter fit für die Zukunft machen. Der Zentralbanker: „Dauer-haft niedrige Zinsen können dazu füh-ren, dass die Politik nötige Reformen verschleppt.“ Die große Koalition ist gerade dabei, Reformverweigerung als höhere Strategie für mehr soziale Ge-rechtigkeit zu verkaufen.
Köcheln der Krise
Auch der Wirtschaftswissenschaftler Lüder Gerken (Centrum für europäi-sche Politik) weist darauf hin, dass die eigentlichen Probleme der Überschul-dungskrise nicht gelöst seien. Die scheinbare Ruhe sei nur auf die Zusage der EZB zurückzuführen, notfalls unbe-grenzt (auch faule) Staatsanleihen anzukaufen. Die größten Sorgen berei-te derzeit Frankreich, wo die notwen-digen Reformen seit Jahren ver-schleppt würden. Die romanischen Staaten wollten die von der Bundesre-gierung angemahnten Reformanstren-gungen nicht. Daher werde die Euro-Krise weiter vor sich hinköcheln. Ger-kens düstere Prognose lautet: „Ir-gendwann wird die erklärte Bereit-schaft der EZB und auch Deutschlands, alles zu tun, um den Euro zu halten, in Anspruch genommen werden.“ Und exakt darauf scheinen sich die Schul-denländer zu verlassen.
Eurofalle zugeschnappt
In der „FAZ“ zieht Prof. Ulrich van Sun-tum (Uni Münster) eine fatale Zwi-schenbilanz der bisherigen Bemühun-gen zur Euro-Rettung: „Die Einheits-währung hat sich als ein Schritt zu weit für die Problemländer erwiesen. We-gen des fehlenden Wechselkursme-chanismus bleiben ihnen nur noch drei Möglichkeiten, mit ihren Defiziten fertig zu werden: Eine harte Anpas-sungsdeflation (reale Abwertung), Finanzhilfen der Überschussländer bis hin zum teilweisen Schuldenerlass oder Inflationierung des Euro mit dem Ziel der kalten Enteignung ihrer Gläubiger. Realisiert wurde bisher eine Kombina-tion aus allen drei Instrumenten, wo-bei die Inflationsrate zwar niedrig ge-halten wurde, die Zinsen aber noch niedriger (finanzielle Repression). Alle drei Lösungskomponenten sind mit so hohen Kosten für die jeweiligen Bevöl-kerungen verbunden, so dass der Euro darüber inzwischen zum politischen Sprengsatz geworden ist, statt wie erhofft Europa zu integrieren. Viele Ökonomen haben deshalb resigniert und halten die Eurofalle für längst zugeschnappt.“
Potemkinsche Dörfer
Der griechische Ministerpräsident, der im Januar sinnigerweise die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, hat verkündet, sein Land brauche kei-ne weiteren Kredite mehr und werde sich 2014 wieder an den Märkten refi-nanzieren. Das setzt selbst vor dem Hintergrund der nahenden Europa-Wahl neue Desinformations-Maßstäbe in einem Land, dessen öffentliche Ver-schuldung mittlerweile 176 % des BIP ausmacht. Wenn Realitätsverlust und Wunschdenken zum regierungsamtli-chen Tarnen und Täuschen führen, stellt sich eigentlich die Frage, ob die Voraussetzungen für eine halbwegs seriöse Kooperation überhaupt noch gegeben sind. Gleichwohl: Nicht nur hinter den potemkinschen Kulissen in Athen, Brüssel und Berlin werden längst die Weichen für ein drittes vo-luminöses Hilfspaket gestellt, mit dem Griechenland noch 2014 erneut „ge-rettet“ werden soll.
Political Correctness
Es ist bemerkenswert, wie hierzulande immer wieder aktuelle Diskussionen schon im Ansatz mit den Methoden der Political Correctness erstickt wer-den. Ein aktuelles Beispiel stellt die Forderung nach Regeln gegen den „Missbrauch der europäischen Freizü-gigkeit durch Armutszuwanderung“ dar. Dabei ist unstrittig, dass die zu-nehmende Einwanderung in die deut-schen Sozialsysteme schon heute die Kommunen vor erhebliche finanzielle und soziale Probleme stellt. Gleich-wohl werden die Fakten und Konse-quenzen von den Gutmenschen in Poli-tik und Medien systematisch unter den Teppich gekehrt. Man scheint der Auf-fassung zu sein, dass der „mündige Bürger“ nicht reif sei für eine sachliche Diskussion solch sensibler Themen. Die „Wirtschaftswoche“ kommentiert: „Die größten Populisten in der Frage der Armutswanderung sind nicht in der CSU, sondern unter den Kritikern zu finden. Sie schaden der Kultur der poli-tischen Debatte in Deutschland, indem sie die schwerste Keule rausholen, mit der ein politischer Gegner mundtot gemacht werden soll.“ Gemeint ist die gängige Praxis, missliebige Mahner als rechtspopulistisch zu brandmarken.
„Schöne neue Welt“
An Aldous Huxleys Roman erinnert das Vorhaben des amerikanischen Ge-heimdienstes NSA, einen Super-Computer zu entwickeln, der so gut wie alle Verschlüsselungen bei Regie-rungen, Unternehmen, Banken, For-schungsinstituten und Privatleuten knacken soll. Kürzlich hatte der „Spie-gel“ berichtet, die NSA könne schon heute Computer von Zielpersonen präzise und unauffällig mit Ausspähun-gen infizieren. Die Einschränkung ver-fassungsmäßiger Bürgerrechte unter der Fahne der Terrorbekämpfung ist offensichtlich längst Realität. Dass diese besorgniserregende Entwicklung nicht Gegenstand weltweiter Proteste geworden ist, gehört zu den unerklär-lichen Phänomenen unserer Zeit.