„Täglicher Vertragsbruch“

„Täglicher Vertragsbruch“
Als „Perversion des Solidaritätsgedan-kens“ hat Otmar Issing, der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bundes-bank, den Ruf nach einer Transferuni-on bezeichnet, bei der die europäi-schen Schuldenländer dauerhaft durch Steuergelder anderer Staaten subven-tioniert würden.

Das bedeute das Ende eines stabilen Währungs-raums. Issing weiter: „Das Bundesverfassungsge-richt hat inzwischen zurecht klarge-stellt, dass ein unbegrenzter Ankauf von Staatsanleihen einzelner Länder nicht mit dem Mandat der EZB verein-bar ist. Man darf gespannt sein, wie der Europäische Gerichtshof, dem der Fall vorgelegt wurde, entscheidet.“ Kernproblem der Gemeinschaftswäh-rung sei, dass täglich Verträge gebro-chen werden. Und täglich würden Vor-schläge für neue Regeln gemacht. Am Rande: Der prozentuale Anteil der Bürger, die der EU überhaupt noch vertrauen, ist von 57 % in 2007 auf 31 % in 2013 gesunken.

Gouvernanten-Sozialismus
Der Publizist Wolfram Weimer unter-sucht in der „Wirtschaftswoche“ die Hintergründe der Entstehung neuer Protestbewegungen in Europa, die von den etablierten Parteien ritualisiert als „Rechtspopulisten“ diskreditiert wür-den. Weimer sieht folgende Ursachen: „Diese Proteststimmung wird aus einer anderen Quelle gespeist. Immer mehr Bürger wehren sich gegen die politi-sche Wandlung unserer Demokratien in vermachtete Parteienoligarchien und anonyme Riesenbürokratien des modernen Big Government. Sie ver-missen Teilhabe, Autonomie, Lokalität und Kontrolle. Es bahnt sich damit ein Pendelschlag der Geschichte an, mit dem sich das Bürgertum Europas nach dem großen Zentralisierungsprozess seine Freiheiten, Autonomie und Iden-titäten zurückholen will.“ Und weiter: „Über Jahrzehnte hat die linke Losung Europas Demokratien und Europas Staatenbund geprägt, dass nur der möglichst große Vater Staat die Prob-leme der Bürger löst. Alles wurde ver-einheitlicht, sozialisiert, europäisiert. Dieses Konzept stößt nun auf Wider-stand von unten. Es verbreitet sich eine Grundstimmung, dass selbstbe-wusste Bürger ihre Angelegenheiten lieber selber regeln wollen, statt zent-ral bevormundet, bürokratisiert, ge-gängelt und übersteuert zu werden.“ Brüssel sei zum Synonym einer illegiti-men Einmischung in die Freiheitsräume der Bürger geworden. Der Grundim-puls der Protestparteien sei daher nicht neo-nationalistisch, sondern neo-subsidiär. Er wehre sich gegen die Fremdbestimmung durch ferne und schuldentrunkene Regierungsappara-te. Die Menschen hätten den Schul-den- und Gouvernanten-Sozialismus schlicht satt.

Realitätsverweigerung
Deutschland und Finnland werfen der EU-Kommission in einem achtseitigen Protestpapier vor, die neuen Defizitkri-terien zu verwässern und es den Süd-ländern zu erlauben, ihre Verschuldung schön zu rechnen. So können neuer-dings „unerwartet einbrechende“ Steuereinnahmen aus dem Haushalts-defizit herausgerechnet werden, was den Schuldenstand vernebelt. Kein Land soll in wirtschaftlich schlechten Zeiten gezwungen werden, zusätzlich zu sparen. Die Kommission bezeichnet ihr Machwerk als „möglichst ausgefeil-tes Instrumentarium zur Beurteilung der Haushaltspolitik.“ Frankreich, Spa-nien und Italien haben diese unge-wöhnlich flexible Art der kreativen Buchführung gelobt. „Focus Money“ kritisiert, dass Brüssel nicht nur die ökonomische Wirklichkeit verdrehe, sondern sich auch weigere, die Krite-rien im Einzelfall offen zu legen: „Auf diese Weise genehmigen sich die Eu-rokraten alle Freiheiten, einen echten Sünder in einen angeblichen Tugend-bold zu verwandeln.“ Die „Welt“ stellt fest: „Raffinierter Rechentrick lässt Europas Schuldenberg schrumpfen.“

Das Kernproblem
Paul Kirchhof, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, sieht das Euro-Rettungssystem als Versuch, „die Stabilität der Währung zu organisieren bei Instabilität des Rechts“. Der Ver-fassungsrechtler weiter: „Die Men-schen spüren, dass wir hier ein System gegen die Wand fahren – obwohl wir die Chance hätten, es zu begradigen. Die Krise in Südeuropa kommt über den Westen nach Norden. Jeder Nachdenkliche weiß: So kann es nicht weitergehen. Das Kernproblem ist die Staatsverschuldung.“ Die von der Niedrigzinspolitik der EZB ausgelöste faktische Enteignung der Sparer ver-stoße gegen das Grundrecht auf er-tragsfähiges Eigentum. Und Francois Heisbourg, früherer Spitzenbeamter im französischen Außenministerium und heutiger Leiter der renommierten Denkfabrik „International Institute for Strategic Studies“ (IISS), fordert dazu auf, den Euro als gescheitertes Expe-riment abzubrechen. Das europäische Projekt sei nur noch auf die Dimension der Euro-Rettung reduziert. Die Ret-tungsaktivitäten hätten wirtschaftliche Stagnation, eine wachsende Ableh-nung des europäischen Integrations-prozesses und das drohende Risiko eines EU-Austritts Großbritanniens produziert. Die Alternative zur Auflö-sung der Gemeinschaftswährung sei eine katastrophale Implosion des Eu-ro. Heisbourg empfiehlt die Ersetzung des Euro durch nationale Währungen, die Wiedereinführung des früheren Systems der europäischen Wechsel-kurse sowie die Umwidmung des Euro als gemeinsame Verrechnungseinheit im Sinne des ehemaligen ECU. In je-dem Falle sei eine Auflösung des Euro schmerzhaft und problematisch, ande-rerseits aber auch weniger riskant als die waghalsige Politik der Jahre 2010 bis 2012 und weniger traumatisch als die in weiten Teilen der Euro-Zone herrschende Arbeitslosigkeit. Und dieses Konzept biete die Hoffnung, die EU zu retten und ihr ein Comeback zu ermöglichen.

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