Trendwende?
Die deutsche Industrie hat im Juni 2014 den stärksten Auftragseinbruch seit fast drei Jahren hinnehmen müs-sen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts gingen die Bestellungen gegenüber dem Vormonat um 3,2 % zurück.
Die gemeldeten Aufträge aus dem Inland sanken um 1,9 %, die aus dem Ausland um 4,1 %. Die Nachfrage aus der Euro-Zone brach mit 10,4 % regelrecht ein. Dazu passt die ifo-Meldung, dass sich das Wirtschafts-klima im Euro-Raum erstmals seit Ende 2012 verschlechtert hat. Die Erwar-tungen der befragten 300 internatio-nalen Ökonomen an die nächsten sechs Monate hätten sich deutlich eingetrübt. Als Hauptursache werden die Ukraine-Krise und die Sanktionen gegenüber und von Russland genannt. Davon sind alle großen Wirtschaftsbe-reiche mit Ausnahme der Dienstleis-tungen betroffen. Gleichwohl zeigen sich die deutschen Unternehmen noch überwiegend optimistisch. So sind die Exporte von Januar bis Juni 2014 – gegenüber dem Vorjahr – um 2,4 % gestiegen. Zu rechnen ist allerdings mit einer deutlichen Senkung der BIP-Prognosen für 2014 und 2015.
Gefahr für den Standort
Nur kurz nachdem das US-Magazin „Newsweek“ das deutsche Jahrhun-dert ausgerufen hat, macht sich Er-nüchterung breit in Deutschlands Chef-Etagen. Dazu trägt neben konjunktu-rellen Abkühlungstendenzen eine neue DIHK-Studie bei, die – wie der „Spie-gel“ formuliert – böckelnde Funda-mente unter einer glänzenden Fassade erkennen lässt. Als zentrale Schwach-stelle wird die zu niedrige Investitions-summe in Deutschland identifiziert, die den Wohlstand bedrohe. Nach DIHK-Berechnung besteht hierzulande eine jährliche Investitionslücke von etwa 3 % des BIP, was rund 80 Mrd. Euro ent-spricht. Als Investitionsbremse be-nennt die Umfrage Gründe, für die in erster Linie die Politik verantwortlich sei. Die Entscheidungen der großen Koalition erweisen sich danach zu-nehmend als „Gefahr für den Stand-ort“. Die Kritik richtet sich nicht nur auf „Reformen“ wie die Rente mit 63, den Mindestlohn oder die Mietpreis-bremse, sondern vor allem auf das Fehlen eines Plans, mit dem Deutsch-land als viertgrößte Industrienation der Welt ihre Zukunft sichern könne. Insgesamt wächst die Sorge, die Gro-Ko sei dabei, die strukturellen Wei-chenstellungen der Agenda 2010 rück-gängig zu machen. Geklagt wird seit längerem über die hohen Steuern und Abgaben (fast 80 %) sowie das starre Arbeits- und Tarifrecht (über 70 %). Neu auf der Sorgenliste stehen der Fachkräftemangel und die hohen Energiekosten, die die Wettbewerbs-fähigkeit des Standorts Deutschland einschränken. Daraus resultieren schon heute verstärkte Investitionen im Ausland. Das DIW warnt: „Deutsch-land lebt von der Substanz“.
Nichts gelernt?
Die Bank für Internationalen Zahlungs-ausgleich hat kürzlich vor einem neuen Kollaps der Finanzmärkte gewarnt. Der frühere BIZ-Chefvolkswirt William White analysiert: „Seit der letzten Krise hat sich nichts wirklich geändert: Nach wie vor pumpt eine sehr aktive Finanzpolitik das Kreditvolumen exzes-siv auf – macht also genau das, was den Schlamassel ursprünglich ausge-löst hat. Schon Wirtschafts-Nobelpreisträger Friedrich von Hayek wusste: Wer gegen eine Depression mit verstärkter Kreditvergabe vorgeht, bekämpft das Übel mit seiner Ursache. Aber die Kreditblase und die hohe Ver-schuldung sind das grundlegende Prob-lem – und heute ist die Verschuldung der privaten Haushalte, der Unter-nehmen und der Staaten in den G-20-Ländern um 30 Prozent höher als 2007.“ Und White stellt außerdem fest: „Die BIZ glaubt - und ich stimme ihr da zu -, dass das Problem der Ver-schuldung letztlich eines der Zahlungs-fähigkeit ist. Bei realistischer Betrach-tung müsste man aber eingestehen, dass viele Schuldner praktisch pleite sind, sie werden nie in der Lage sein, ihre Schulden abzutragen. Sinnvolle Maßnahmen wären da Umschuldun-gen, Schuldenerlass, Abschreibung von Krediten, Rekapitalisierung von Ban-ken – doch das sind nicht die Aufgaben einer Zentralbank, sondern von Regie-rungen. Die aber scheuen sich, solche harten und unpopulären Aufgaben anzupacken - da tut man lieber so, als hätte die Zentralbank alles im Griff. Das Problem ist freilich, dass diese Praktiken nicht nur nicht funktionieren, sondern auch noch äußerst unange-nehme Nebeneffekte haben.“
„Kein Zurück“
Das Vertrauen der Bürger in die EU-Institutionen ist in den letzten Jahren auf besorgniserregende Tiefststände eingebrochen. In dieser beispiellosen politischen Glaubwürdigkeitskrise ha-ben sich die Mitgliedsländer mit Jean-Claude Juncker ausgerechnet auf ei-nen neuen EU-Kommissions-
präsidenten geeinigt, der nicht zuletzt durch seine sehr spezielle Definition von Wahrheit und Klarheit aufgefallen ist. So hat er 2011 in seiner damaligen Funktion als luxemburgischer Premi-erminister bei einer Preisverleihung in Brüssel konstatiert: „Wenn es ernst wird, muss man lügen.“ Die Lüge sei notwendig, weil jedes Wort eines Poli-tikers „Reaktionen der Börsen“ auslö-sen könne. Deswegen sei er für „ge-heime Verhandlungen in dunklen Räu-men“. Und schon 1999 hatte der frühere Chef der Euro-Gruppe sein merkwürdiges Demokratie-Verständnis mit folgender Handlungs-empfehlung für Spitzenpolitiker erken-nen lassen: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und war-ten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“