Vertrauenskrise

Die Bürger verfolgen den Niedergang der Volksparteien mit gemischten Gefühlen. Einerseits erscheinen handfeste Quittungen für die fortgesetzte Missachtung der Wähler-Prioritäten geboten und überfällig. Andererseits ist die Sorge nicht unberechtigt, dass mit der Zersplitterung der Parteienlandschaft auch die politische Stabilität der Nachkriegszeit dauerhaften Schaden nimmt.

Das kann dazu führen, dass die Mehrheitsfähigkeit in Gestalt funktionierender Koalitionen abhandenkommt. Am Horizont droht die Gefahr der strukturellen Unregierbarkeit. Gerade dieses Risiko wollten die Väter des Grundgesetzes durch das von den Negativerfahrungen der Weimarer Republik geprägte Wahlrecht mit der 5 %-Klausel minimieren. Sollte es perspektivisch sieben oder mehr Parteien im Korridor zwischen 5 und 20 % geben, dürfte der Ruf nach der Einführung des Mehrheitswahlrechts laut werden. In 50 Jahren werden Historiker fragen, wie es dazu kommen konnte, dass sich die „Volksparteien“ in der dritten Dekade dieses Jahrhunderts als von allen guten Geistern verlassen erwiesen haben. Und wahrscheinlich werden sie zu dem Schluss kommen, dass die tiefgreifende Vertrauenskrise sehr viel zu tun hatte mit dem zunehmenden Gefühl in der Bevölkerung, dass der Staat nicht mehr geliefert hat. Irrlichternde Regierungen, die sich den Realitäten verweigern und ihre politische Bringschuld sträflich vernachlässigen, vergeben ihre Legitimation und gefährden den Fortbestand der freiheitlich demokratischen Grundordnung.

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