Ein ebenso fiktives wie überfälliges Interview mit Angela Merkel
Frage: Frau Bundeskanzlerin, mal ganz ehrlich: Glauben Sie eigentlich noch daran, dass wir unser Geld jemals von Griechenland zurückbekommen werden?
A. M.: Bereits drei Ministerpräsidenten haben erklärt, dass Griechenland seinen Verpflichtungen bis zum letzten Cent nachkommen wird. Es besteht kein Grund, diese Aussagen in Zweifel zu ziehen.
Frage: Aber Griechenland ist doch offensichtlich noch nicht einmal imstande, die Zinsen aus eigener Kraft zu zahlen …
A. M.: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Wir werden zusammen mit unseren Partnern in bewährter Solidarität unsere griechischen Freunde dabei unterstützen, sich vertragskonform zu verhalten.
Frage: Haben Sie angesichts der anhaltenden Finanzkrise Verständnis dafür, dass sich die deutschen Steuerzahler und Sparer Sorgen um ihr Geld machen?
A. M.: Ich habe den deutschen Sparern schon im Jahr 2008 zusammen mit dem damaligen Finanzminister versichert, dass ihre Einlagen sicher sind. Daran hat sich nichts geändert.
Frage: Aber Kritiker haben schon damals angemerkt, dass Ihre „Sparer-Garantie“ ohne Legitimation des Gesetzgebers, folglich auch ohne tatsächliche finanzielle Konsequenzen ausgesprochen worden ist. Handelte es sich also dabei nicht nur um eine psychologische Beruhigungspille für das Volk?
A. M.: Die Bundesregierung wird weiterhin alles Nötige tun, um Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.
Frage: Ihr Finanzminister bringt immer wieder den Grexit als die nachhaltigere Problemlösung ins Spiel. Liegt er damit wirklich so falsch?
A. M.: Wir haben uns bekanntlich in der Brüsseler Nachtsitzung für einen anderen Weg entschieden. Uns leitet der erklärte politische Wille, Griechenland als Wiege der Demokratie in der Euro-Zone zu halten.
Frage: Kann man überhaupt noch Vertrauen in die Zuverlässigkeit der verantwortlichen Akteure in Athen haben?
A. M.: Die europäische Solidarität beruht auf gegenseitigem Vertrauen. Hier mag es in den letzten Monaten vereinzelt zu Missverständnissen gekommen sein. Das sollte man nicht überbewerten.
Frage: Hat es Sie eigentlich nicht persönlich getroffen, von griechischen Medien immer wieder mit NS-Karikaturen verunglimpft zu werden?
A. M.: Verantwortliche Politiker dürfen sich nicht durch gezielte Provokationen beeinflussen lassen. Außerdem handelt es sich hier um Einzelmeinungen.
Frage: Neuen Umfragen zufolge ist der Beliebtheitsgrad der Deutschen in Europa auf nie zuvor gekannte Minus-Werte abgestürzt. Der Euro, der die europäische Einigung fördern sollte, erweist sich als Spaltpilz. Was läuft da falsch?
A. M.: Unsere Bemühungen um die Stärkung der Gemeinschaftswährung sind bekanntlich alternativlos. Das hat auch der deutsche Bundestag immer wieder bestätigt. Alle wissen: Fällt der Euro, dann fällt Europa. Oder wie Helmut Kohl sagte: Der Euro ist eine Frage von Krieg oder Frieden.
Frage: Sie haben weitere Rettungsmaßnahmen für Griechenland von der Mitwirkung des IWF abhängig gemacht. Werden Sie dem Deutschen Bundestag das dritte Hilfspaket auch dann zur Genehmigung vorlegen, falls der IWF aus der Troika aussteigt, also keine weiteren Kredite gewährt?
A. M.: Christine Lagarde benötigt als Französin gerade von deutscher Seite keine Nachhilfe in Geschichte und gemeinsamer Verantwortung für unseren Kontinent. Auch hier gilt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Frage: Die sozialistische Regierung Frankreichs zeigt sich in letzter Zeit zunehmend solidarisch mit den südlichen Schuldenländern. Der „Club Med“ will sich offenbar von allen lästigen Sparzwängen verabschieden. Hat die Achse Berlin-Paris nicht erhebliche Unwucht bekommen?
A. M.: Die deutsch-französische Freundschaft ist und bleibt Motor des Zusammenwachsens im europäischen Haus. Daran hat sich seit Charles de Gaulle und Konrad Adenauer nichts geändert. Wir wollen und werden gemeinsam das europäische Friedenswerk vollenden.
Frage: Ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, dass die französischen Sozialisten Sympathien für die marxistische Regierung in Athen hegen, weil diese offenbar einen politischen Paradigmen-Wechsel in Europa anstrebt?
A. M.: Mein Freund François Hollande hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er sich europäischen Idealen verbunden fühlt. Auch beim Sparen gilt: Viele Wege führen nach Rom bzw. nach Paris.
Frage: Herr Schäuble befindet sich in puncto Grexit in einem offenen Dissens mit seinem französischen Amtskollegen. Er hat den Griechen für den Fall der Uneinsichtigkeit gedroht: „Than isch over“. Und dem amerikanischen Finanzminister hat er angeboten, Griechenland gegen Puerto Rico zu tauschen. Ist Deutschland dabei, seine eigenen Interessen endlich konsequenter wahrzunehmen?
A. M.: Wir werden uns auch weiterhin der Sorgen und Nöte unserer Partnerländer annehmen und überall helfen, wo Hilfe erforderlich ist.
Hinweis: Dietrich W. Thielenhaus hat als Autor dieser Realsatire nicht nur die überfälligen Fragen formuliert, sondern auch die von ihm vermuteten Antworten in inhaltlicher Anlehnung an frühere Aussagen der Bundeskanzlerin.