„Zahnloser Tiger“

„Zahnloser Tiger“
Die Gefahr wächst, dass die sich wei-ter verschärfende Staatsschuldenkrise der Wirtschaft auf Sicht den Boden unter den Füßen entziehen wird. Seit nunmehr fast zwei Jahren haben es die Politiker der Euro-Zone – trotz zahllo-ser Krisengipfel – nicht geschafft, eine strukturell wirksame Problemlösung zu finden und umzusetzen. Auch der Ende Januar 2012 vereinbarte Fiskalpakt weist keine nachhaltige Durchschlags-kraft auf.

Von Kritikern wird das Ver-tragswerk als „weich gespült“ und „zahnloser Tiger“ bezeichnet. Die an-geblich effektive Schuldenbremse er-weist sich in der Realität als kaum durchsetzbare Absichtserklärung. Die „Wirtschaftswoche“ kommentiert: „Die Schulden-staaten diktieren Mer-kel ihre Regeln“. Offenkundig haben die Südländer den entkernten Fiskal-pakt nur deswegen durchgewunken, weil sie sich von diesem vordergründi-gen Zugeständnis als „Gegengeschäft“ eine deutliche Aufstockung der Ret-tungsschirme durch Zahlmeister Deutschland versprechen.

12 % Wahrscheinlichkeit
Laut ifo-Institut haften die deutschen Steuerzahler schon jetzt mit 595 Mrd. Euro für die diversen Rettungsversuche. Hinzu kommen die Risiken, die sich aus dem 480 Mrd. Euro schweren, kürzlich ganz beiläufig vom Bundestag reakti-vierten Bankenrettungsfonds Soffin ergeben. Hans-Werner Sinn hält weitere deutsche Engagements für nicht mehr vertretbar, weil sie die Bereitschaft der Krisenländer zu wirklichen Reformen unterminiere. Außerdem warnt Sinn: „Die Finanzmärkte taxieren die Wahr-scheinlichkeit für einen Staatsbankrott Deutschlands in den nächsten zehn Jah-ren schon jetzt auf zwölf Prozent, mit steigender Tendenz.“

Drei Schirme ...
Der Bundesfinanzminister soll am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos informelle Gespräche über weitere Ret-tungsmaßnahmen geführt haben. Durch die Kombination der Rettungsschirme EFSF und ESM mit einem neuen Hilfs-fonds des IWF sollen der Euro-Zone 1,5 Billionen als „Brandmauer“ zur Verfü-gung gestellt werden. Angeblich gehen die Eurokraten davon aus, dass sich die Bundesregierung beim nächsten Gipfel Anfang März dem Druck von EU-Kommission und Schuldnerländern beu-gen wird. Die über Monate mannhaft vorgetragenen Ankündigungen von Merkel, Schäuble und Rösler, das Haf-tungsrisiko Deutschlands nicht weiter zu erhöhen, würden sich dann als Theater-donner erweisen. Die Bundesregierung dürfte schon bald vernebelnd erklären, dass nach Vereinbarung des Fiskalpakts eine Erhöhung der Brandmauer im urei-genen deutschen Interesse liege. Die zunehmend hektische Geldflutung in der Euro-Zone lässt Schlimmes befürchten. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank hat kürzlich vor dem Kollaps des gesam-ten Geldsystems gewarnt.

Spaltpilz Euro
Die Bundeskanzlerin hat mehrfach schicksalsschwer gewarnt: „Wenn der Euro fällt, fällt auch Europa.“ Die Rea-litäten sehen derzeit ganz anders aus. Die strapazierte Gemeinschaftswäh-rung ist dabei, wie ein Spaltpilz über-wunden geglaubte Emotionen und Antipathien zwischen den EU-Ländern zu befeuern. Insbesondere Deutsch-land wird – durch entsprechende Pro-paganda der Massenmedien – in Län-dern wie Griechenland, Italien, Spani-en und Portugal an den öffentlichen Pranger gestellt. Dabei werden zu-nehmend kriegerische NS-Vergleiche bemüht. Der deutsche Michel, der allmählich die gewaltigen finanziellen Risiken erahnt, empfindet die wüten-den Attacken aus den Nehmerländern verständlicherweise als unfreundlich und undankbar. Und so schaukeln sich alte Vorurteile und Feindbilder immer weiter hoch. Dazu tragen unausgego-rene Ideen der Bundesregierung bei wie der Vorschlag, Griechenland einen Sparkommissar vor die Nase zu setzen. Auch das hoffnungslos überschuldete Hellas kann schon aus Verfassungs-gründen seine Souveränität nicht an der Brüsseler EU-Garderobe abgeben. Der Konstruktionsfehler liegt im Sys-tem: Deutschland hat seine Zukunft untrennbar mit den Euro-Ländern ver-bunden. Wir haben uns die Nöte und Sorgen der PIIGS damit dauerhaft zu-eigen gemacht. Daraus – so meint die Bundesregierung – erwächst die legi-time Verpflichtung, die Krisenländer notfalls auch durch massive Interven-tionen zu ihrem Glück zu zwingen. Eindeutig besser als diese untaugliche Sisyphus-Strategie wäre, in Europa wieder zum Prinzip der nationalen Eigenverantwortlichkeiten zurückzu-kehren. Dann gäbe es keinen Anlass mehr, Deutschland als imperialisti-schen Zuchtmeister zu diskriminieren. Und auch die Rolle des unendlichen Zahlmeisters in einer Transfer- und Schuldenunion würde sich von selbst erledigen.

Energiewende ?
Auch in anderen Bereichen scheint die Politik mögliche Gefahren und Risken aus dem Auge verloren zu haben. Im Februar sorgte der Atomausstieg – verschärft durch die Kältewelle – für Engpässe bei der Stromversorgung. Die Netzbetreiber mussten auf Reser-vekraftwerke zurückgreifen, um die Versorgung sicherzustellen. Seit der Energiewende sind nur noch neun Kernkraftwerke am Netz, was die Ab-hängigkeit von Wind- und Solaranla-gen deutlich erhöht hat. Diese Ener-gielieferanten erzeugen jedoch – je nach Wetterlage – unterschiedliche Strommengen. Probleme hat auch die Reduzierung des russischen Gasliefe-ranten Gazprom um zeitweise 30 % ausgelöst. Als Folge mussten einige Strom produzierende Gaskraftwerke gedrosselt werden. Bleibt die Frage, ob solche Versorgungsszenarien von den politisch Verantwortlichen konse-quent durchgerechnet worden sind.

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