Die SPD ist dabei, sich in einem Prozess lustvoller Disruption selbst zu zerlegen. Historisch beispiellos ist, wie ein aus dem Brüsseler Hut hervorgezauberter Heilsbringer nach nur einem Jahr voller Wirrungen und Irrungen in der politischen Versenkung verschwunden ist.
Auf dieser Geisterfahrt vom Hero zum Zero hat ein offensichtlich völlig überforderter Kandidat wenig ausgelassen, um die eigene Glaubwürdigkeit zu untergraben und seine Partei in eine Existenzkrise zu stürzen. Als zunehmend absurd erweist sich allerdings auch der „basisdemokratische“ Diskurs, der sein Heil in den verstaubten Rezepten aus der sozialistischen Mottenkiste sucht. Die Juso-Opposition scheint es als Fundament sozialdemokratischer Zukunftsgestaltung anzusehen, die mühsamen Errungenschaften von Schröders Agenda 2010 zurück auf Null zu bringen. Wie in den 70er Jahren setzt man auf die Hoffnung, den Herausforderungen der Neuzeit mit dem politischen Werkzeugkasten aus der Arbeiterbewegung begegnen zu können. Dabei wird verdrängt, dass sich immer weniger hoch qualifizierte und gut verdienende Facharbeiter noch von der SPD vertreten fühlen. Es gehört zur selbstverschuldeten Tragik beider (schrumpfenden) Volksparteien, dass sie sich immer weiter von ihren angestammten Wählergruppen entfernt haben, weil sie deren Nöte, Wünsche und Bedürfnisse nur noch eingeschränkt durch ihre parteipolitischen Wunschbrillen wahrnehmen. Ein wesentlicher Grund für diese fortschreitende Entfremdung dürfte auch in der Tabuisierung von Themen liegen, die von weltfremden „Partei-Strategen“ als politisch unerwünscht bzw. unkorrekt eingestuft werden. Als prototypisch kann in diesem Sinne das vielgestaltige Schwerpunktproblem der Migration und Integration gelten, das sich für die Bewohner sozialer Brennpunkte anders darstellt als für weitgehend abgeschirmte Berufspolitiker. Und das gilt ebenso für die „solidarische Vertiefung“ der EU, die auf einen noch höheren Geld-Transfer nach Brüssel und in die Schuldenländer abzielt. Falls sich die Volksparteien nicht wieder stärker um die reale Lebenssituation ihrer Klientel kümmern, wird sich der Erosionsprozess mit bedenklichen Folgen wie der Zersplitterung der Parteienlandschaft fortsetzen.